top of page

Spiritualität als Wissenschaft

Spätestens seit Ende des 19. Jahrhunderts neigt der universitäre Wissen-    schaftsbetrieb dazu, Spiritualität und Wissenschaft als unvereinbare Gegensätze zu behandeln. Das sich herausbildende materialistische Weltbild verwies jede Form von Spiritualität in das Reich der Fabel und Phantasterei. Die Schulen und Presse-Organe plapperten dies fleissig nach, heute ist es "öffentliche Meinung". Ein spirituelles Weltbild kann demnach niemals zugleich ein wissenschaftliches sein und umgekehrt: Wissenschaft nie ein spirituelles  Weltbild hervorbringen. Zwar hört man diese Meinung selten offen und direkt ausgesprochen, die Meisten bringen sie sich wohl kaum zu Be- wusstsein - im Unterbewusstsein der Massen jedoch hat sie längst feste Wurzeln geschlagen: sie ist zur vorherrschenden weltanschaulichen Grund-haltung unserer Zeit avanciert. 

Erhebt ein - wie auch immer geartetes - spirituelles Denken doch einmal den Anspruch, wissenschaftlich zu sein, wird es bedenkenlos in die Schub- lade "Pseudowissenschaft" gesteckt, womöglich mit dem Warnschild "Vorsicht Esoterik!" versehen. Jeglicher Glaube hingegen, vor allem der traditionelle, wird, wenn auch mit einem Lächeln, doch immerhin akzeptiert, so spirituell er auch sein mag. Bedingung: er muss auf wissenschaftlichen Anspruch verzichten; denn dieser ist reserviert für das, was heute üblicherweise unter Wissenschaft verstanden wird. Dass diese "Wissenschaft" nicht immer so wissenschaftlich ist wie ihr Ruf, zeigen eingehende Analysen allerdings schnell - und damit eben auch die wackeligen Füsse ihres Alleinvertretungs-anspruchs.  

Damit verknüpft ist, wie gesagt, die implizit immer vorausgesetzte Meinung, Wissenschaft sei nur mit dem Gegenteil spirituellen Denkens vereinbar. Schon der Gedanke, Spiritualität könne nicht nur Gegenstand von Wissenschaft sein, sondern die Bedingungen echter Wissenschaft womöglich sogar  besser erfüllen (d.h. wissenschaftlicher), ist ein Affront gegen die öffent-liche Meinung, ein Angriff auf den Goliath des etablierten Wissenschafts-betriebs, samt seinem Glauben an das - übrigens unbewiesene - Weltbild des  Materialismus. Einem Weltbild also, demzufolge der Mensch und alle anderen Lebewesen ausschliesslich materielle Wesen sein sollen. 

Die daraus folgende Ausgrenzung der Spiritualität aus den meisten wissen- schaftlichen Institutionen, z.B. Universitäten, gilt für beide gleichermassen: sowohl für staatliche als auch für industriell gelenkte Institute.

Hegels wissenschaftliche Spiritualität

Insofern der Begriff "wissenschaftliche Spiritualität" dem vergleichbar ist, was Hegel unter Metaphysik verstand, sind dessen diesbezügliche Aussagen hierauf anwendbar:

"Dasjenige, was [...] Metaphysik hiess, ist sozusagen mit Stumpf und Stiel ausgerottet worden und aus der Reihe der Wissenschaften verschwunden. Wo lassen oder wo dürfen sich Laute der vormaligen Ontologie, der rationellen Psychologie, der Kosmologie oder selbst gar der vormaligen natürlichen Theologie noch vernehmen lassen? Untersuchungen zum Beispiel über die Immaterialität der Seele [...] wo sollten sie heute noch ein Interesse finden?"(Hegel, Wissenschaft der Logik, Das Sein (1812) S.3) 

Die gesellschaftlichen Folgen dieser "Ausrottung" beurteilte Hegel keineswegs optimistisch:

"So merkwürdig es ist, wenn einem Volke, z.B. die Wissenschaft seines Staatsrechts, wenn ihm seine Gesinnungen, seine sittlichen Gewohnheiten und Tugenden unbrauchbar geworden sind, so merkwürdig ist es wenigstens, wenn ein Volk seine Metaphysik verliert, wenn der mit seinem reinen Wesen sich beschäftigende Geist kein wirkliches Dasein mehr in demselben hat."(Ebenda) 

 ... wird fortgesetzt (und von Zeit zu Zeit überarbeitet). 

 

Ingo Hoppe

am 20.01.2020 

  

"Es ist keine Organisation denkbar ohne eine produktive Kraft. Eine solche Kraft aber ist nur die Kraft eines Geistes. Also können Dinge nicht durch sich selbst wirklich sein. Sie können nur Geschöpfe, nur Produkte eines Geistes sein."

                                             

                Friedrich Schelling

       Aus einer Denkschrift Wilhelm von Humboldts:

"Der Begriff der höheren wissenschaftlichen Anstalten, als des Gipfels, in dem alles, was unmittelbar für die moralische Cultur der Nation geschieht, zusammenkommt, beruht darauf, dass dieselben bestimmt sind, die Wissenschaft im tiefsten und weitesten Sinne des Wortes zu bearbeiten, und als einen nicht absichtlich, aber von selbst zweckmässig vorbereiteten Stoff der geistigen und sittlichen Bildung zu seiner Benutzung hinzugeben.

   Ihr Wesen besteht daher darin, innerlich die objective Wissenschaft mit der subjectiven Bildung, äusserlich den vollendeten Schulunterricht mit dem beginnenden Studium unter eigener Leitung zu verknüpfen, oder vielmehr den Uebergang von dem einem zum anderen zu bewirken. Allein der Hauptgesichtspunkt bleibt die Wissenschaft. Denn sowie diese rein dasteht, wird sie von selbst und im Ganzen, wenn auch einzelne Abschweifungen vorkommen, richtig ergriffen."

  

"Da diese Anstalten ihren Zweck indess nur erreichen können, wenn jede, soviel als immer möglich, der reinen Idee der Wissenschaft gegenübersteht, so sind Einsamkeit und Freiheit die in ihrem Kreise vorwaltenden Principien. Da aber auch das geistige Wirken in der Menschheit nur als Zusammenwirken gedeiht, und zwar nicht bloss, damit Einer ersetze, was dem Anderen mangelt, sondern damit die gelingende Thätigkeit des Einen den Anderen begeistere und Allen die allgemeine, ursprüngliche, in den Einzelnen nur einzeln oder abgeleitet hervorstrahlende Kraft sichtbar werde, so muss die innere Organisation dieser Anstalten ein ununterbrochenes, sich immer selbst wieder belebendes, aber ungezwungenes und absichtsloses Zusammenwirken hervorbringen und unterhalten."

  

"Es ist ferner eine Eigenthümlichkeit der höheren wissenschaftlichen Anstalten, dass sie die Wissenschaft immer als ein noch nicht ganz aufgelöstes Problem behandeln und daher immer im Forschen bleiben, da die Schule es nur mit fertigen und abgemachten Kenntnissen zu thun hat und lernt. Das Verhältniss zwischen Lehrer und Schüler wird daher durchaus ein anderes als vorher. Der erstere ist nicht für die letzteren, Beide sind für die Wissenschaft da; sein Geschäft hängt mit an ihrer Gegenwart und würde, ohne sie, nicht gleich glücklich von statten gehen; er würde, wenn sie sich nicht von selbst um ihn versammelten, sie aufsuchen, um seinem Ziele näher zu kommen durch die Verbindung der geübten, aber eben darum auch leichter einseitigen und schon weniger lebhaften Kraft mit der schwächeren und noch parteiloser nach allen Richtungen muthig hinstrebenden."

 

"Was man daher höhere wissenschaftliche Anstalten nennt, ist, von aller Form im Staate losgemacht, nichts Anderes als das geistige Leben der Menschen, die äussere Musse oder inneres Streben zur Wissenschaft und Forschung hinführt. Auch so würde Einer für sich grübeln und sammeln, ein anderer sich mit Männern gleichen Alters verbinden, ein Dritter einen Kreis von Jüngern um sich versammeln."

© 2023 by Going Places. Proudly created with Wix.com

bottom of page